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Kathryn Bigelow legt mit «Detroit» ein starkes Drama über Rassismus vor. Dies trug der Regisseurin ausgerechnet Kritik von Afroamerikanern ein.
Christian Jungen
7 min
Kathryn Bigelow gehört zu jenen Regisseuren, die gerne unerkannt in ein Kino sitzen, um zu sehen, wie das Publikum auf ihr Werk reagiert. «Ich habe das bei allen meinen Filmen gemacht. Doch noch nie habe ich eine so emotionale Reaktion gesehen wie auf ‹Detroit›.»
Dies erfüllt sie mit Genugtuung. Schon beim Dreh sei ihr ganzes Team von einem Sendungsbewusstsein beseelt gewesen. «Alle Schauspieler und Crew-Mitglieder spürten eine sehr starke Dringlichkeit, diese Geschichte erzählen zu müssen, denn obwohl sie 50Jahre alt ist, könnte sie sich heute noch so ereignen.»
«Detroit» fokussiert auf die Rassenunruhen, welche die Motor City 1967 erschütterten. Fünf Tage lang standen Häuser in Flammen, nachdem weisse Polizisten Schwarze erschossen hatten, die die Heimkehr von Soldaten aus Vietnam feierten. 43Tote, über 1000 Verletzte lautete die Bilanz.
Bigelow erzählt von einer besonders tragischen Episode, die sich im Algiers Motel abspielte, wo Polizisten drei schwarze Teenager zu Tode quälten, die mit zwei jungen weissen Frauen feierten. Die Regisseurin hatte mit der Arbeit am Film noch unter dem ersten schwarzen Präsidenten der USA begonnen.
«Nach der Wahl von Barack Obama dachte ich, dass wir nun den Rassismus überwinden würden. Doch dies ist nicht der Fall. Seit dem Aufmarsch von Rechtsradikalen in Charlottesville sind die Rassenspannungen noch akuter in den USA.»
Unser Gespräch fand letzten Montag statt, als die Medien gerade darüber berichteten, dass in Warschau 60000 Rechtsradikale aufmarschierten und ein weisses Europa forderten.
«Warum passiert das immer noch? Woher rührt der Mangel an Empathie und Humanität?», fragt Bigelow, und auf die Antwort, Fremdenhass sei schon immer vorhanden gewesen, doch unter Politikern wie Orban und Trump getrauten sich Rassisten, wieder aus ihren Löchern zu kriechen, ruft sie: «Dass dieses Gedankengut durch unsere Administration normalisiert wurde, ist abartig und nicht akzeptabel. Es gibt keinen besseren Moment als jetzt, die Diskriminierung von Minderheiten aufs Tapet zu bringen.» Bigelow glaubt, dass der Film als reichweitenstarkes Medium Menschen zum Umdenken bringen könne.
Kürzlich führte sie «Detroit» Politikern in Washington DC vor. Organisiert hatte die Vorstellung der schwarze Kongressabgeordnete John Conyers jr., der eine Vorlage in petto hat, um Racial Profiling, also die Fahndung aufgrund von Rassenkriterien, einzuschränken. «Die Politiker debattierten nach dem Film hitzig. Ich sah, dass ‹Detroit› nun seine Mission, Diskussionen über Rassismus anzuregen, erfüllte. Das war einer der wertvollsten Momente meiner Karriere.»
Nicht alle schätzen allerdings Bigelows cineastisches Engagement. Die schwarze Filmkritikerin Angelica Jade Bastien übt harsche Kritik: «‹Detroit› wurde von Weissen inszeniert, geschrieben, produziert, fotografiert und montiert, die das Gewicht der Bilder, die sie evozieren, nicht verstehen.» Ihr Fazit: «Ich bin nicht interessiert an einem weissen Blick auf schwarzes Leid.»
Darauf angesprochen, ob sie Opfer eines Rassismus mit umgekehrten Vorzeichen geworden sei, meint Kathryn Bigelow: «Ich habe Verständnis für die Kritik. Die Wunden klaffen noch immer und sind schmerzvoll. Rassismus verletzt alle, die Weissen wie die Schwarzen.»
Und dann sagt sie mit bedrückter Stimme diesen Satz, der beklemmend nachhallt: «Ich hoffe, dass mein Film richtig verstanden wird und niemand den weissen Polizisten Krauss, der für den systeminhärenten Rassismus steht, nachahmt.»
Dies sollte nicht passieren. Denn im langen Mittelteil des Films lässt uns Bigelow die Misshandlungen der Opfer fast physisch miterleben. In der Schilderung war sie um grösstmögliche Authentizität bemüht.
«Mein Drehbuchautor Mark Boal und ich haben ausführlich recherchiert», erklärt Bigelow, «wir haben die Presseberichte aus der Zeit gelesen, Gerichtsakten studiert und mit den Überlebenden gesprochen. Ich bin mit diesen durch Detroit spaziert und habe sie Moment für Moment die Ereignisse erzählen lassen.»
Bigelow ist eine hervorragende Regisseurin, aber an ihr ist wohl auch eine begnadete Journalistin verloren gegangen. Ob «Detroit», «The Hurt Locker» oder «Zero Dark Thirty»: Stets geht sie Themen von brennender Aktualität auf den Grund.
Das sei schon zu Beginn ihrer Karriere als Malerin der Fall gewesen. «Ich ging bei meinem Kunstwerken von gesellschaftlichen Themen aus wie auch später als Filmemacherin. Bei ‹Strange Days› gab es zum Beispiel Verweise auf Rodney King, der 1991 von der Polizei in Los Angeles misshandelt wurde.»
Die 1951 im nordkalifornischen San Carlos geborene Bigelow studierte Kunst in San Francisco und gelangte dank einem Stipendium des Whitney Museums Ende der siebziger Jahre in die Kunstszene von New York, wo sie von der Autorin Susan Sontag und vom Künstler Richard Serra gefördert wurde. Sie wirkte als radikale Malerin im Art & Language Movement.
Dass sie schliesslich bei der siebten Kunst landete, verdankt sie dem Schweizer This Brunner, der 35 Jahre lang die Zürcher Arthouse-Kinos programmierte und Anfang der achtziger Jahre in der Programmkommission von Locarno mitwirkte. «This hat meinen Erstling ‹The Loveless› mit Willem Dafoe gesehen und dafür gesorgt, dass er 1981 in Locarno ins Programm kam.
Dort fand ich einen Verleiher und erhielt erste Kritiken. In einer Zeit, als ich verletzlich war und hätte scheitern können, hat er mich unterstützt, beraten und mir sogar Douglas Sirk vorgestellt. This und ich wurden beste Freunde, und ich kann nur sagen: Ohne ihn würde ich heute keine Filme drehen.»
This Brunner erinnert sich noch gut an die erste Begegnung mit Bigelow in Locarno. Sie hätten sich beim Diskutieren über ihre Lieblingsregisseure Sam Peckinpah (Bigelow) sowie Douglas Sirk und Bernardo Bertolucci (er) auf Anhieb gut verstanden. Die beiden gingen fast täglich miteinander joggen am Lago Maggiore, was Bigelow lieber war als Gesellschaftsanlässe. «Kathryn war schon immer eher eine scheue, kämpfende Einzelgängerin. Partys sind ihr ein Greuel, lieber liest sie kluge Bücher, oder sie geht mit ihren deutschen Schäferhunden in den Hollywood-Hügeln hiken. Auch Yoga steht fast täglich auf ihrem Programm. Sie ist extrem diszipliniert und immer perfekt organisiert.»
Bigelow hat sich in Hollywood mit Actionfilmen wie «Blue Steel» und «Point Break» den Ruf der Blockbuster-Generalin eingehandelt, die harte Filme fürs Männerpublikum macht. Die Regisseurin, die mit ihren 1 Meter 82 Branchengrössen schon von der Postur her auf Augenhöhe begegnet, avancierte zum Vorbild vieler Feministinnen. 2010 gewann sie mit «The Hurt Locker» als erste Frau überhaupt den Oscar als beste Regisseurin. Das Nachsehen hatte ihr Ex-Mann James Cameron, der als Regisseur von «Avatar», dem grössten Kassenschlager aller Zeiten, als haushoher Favorit gegolten hatte.
Nun feierte die ganze Welt Bigelow als Powerfrau, welche die gläserne Decke zertrümmerte, die Frauen in Hollywood vor Machtpositionen trennte. Bigelow selber hielt keine Brandrede für die Frauen. Sie bedankte sich bei ihrem Team, wie Männer das auch tun. Sie spricht auch in Interviews nicht gerne über das Frausein in Hollywood. «Ich sehe mich nicht in erster Linie als weiblicher Regisseur, sondern einfach als Regisseur», sagte sie 2002 bei unserem ersten Gespräch.
Und auch diese Woche wurde sie wortkarg, als man sie fragte, warum sie es als Frau beim Film geschafft habe und andere nicht. «Ich wünschte, ich könnte eine Anleitung geben, wie man in Hollywood reüssiert, aber ich habe sie nicht. Sicher ist, dass man Hartnäckigkeit braucht, die ich zum Glück habe.»
Es ist vielleicht ihre eigene Art eines modernen Feminismus: das Aussergewöhnliche als Selbstverständlichkeit zu behandeln. Auf den Hinweis, eine Zürcher Filmkritikerin habe an der Universität ihre Liz-Prüfungen über ihr Œuvre gemacht, sagt Bigelow: «Ich fasse das als riesiges Kompliment auf.» Und taut dann auf: «Dass in Hollywood erst sieben Prozent der grossen Filme von Frauen gemacht werden, ist ein kulturelles Problem. Sobald es mehr Vorbilder für Frauen gibt, wird sich das ändern, weil es dann auch nicht mehr als Unmöglichkeit erscheint, als Frau einen Film drehen zu können.»
Kathryn Bigelow ist Optimistin. «Es gibt immer mehr Frauen, die Regie führen, und dadurch verbessert sich auch die Repräsentation. Ich habe gerade an einer Podiumsdiskussion teilgenommen, wo wir drei Frauen und drei Männer waren statt nur Männer.»
Ins Feuer redet sich die sonst nüchtern antwortende Regisseurin beim Thema sexuelle Belästigung. «Das Ausmass der Übergriffe war mir nicht bewusst, und ich war schockiert, als die Fälle bekannt wurden; vor allem bin ich schockiert, dass es so lange dauerte, bis jemand sagte, dass solche Übergriffe abartig sind. Ich unterstütze alle Frauen, die den Mut hatten, über Diskriminierungen zu sprechen.»
Bigelow glaubt, dass sich die Traumfabrik nach dem Auffliegen von Harvey Weinstein fundamental ändern werde. «Wir stehen am Beginn eines bedeutenden Wechsels. Frauen habe ihre Stimme gefunden, und auch Menschen vom Rand der Gesellschaft werden nun eher gehört. Hollywood ändert sich zum Guten.»
Film «Detroit»: Abstieg in die Hölle
Detroit, 25. Juli 1967: Im Algiers Motel ermorden weisse Polizisten, die einen Heckenschützen im Gebäude vermuten, drei Schwarze, nachdem sie diese schwer misshandelt haben. Kathryn Bigelow hat die Ereignisse nicht auf actionreiche Höhepunkte reduziert, sondern lässt sie uns quasi in Echtzeit miterleben. Ihr Thriller ist packend, beklemmend und im Schlussteil, der vor jenem Gericht spielt, das die Cops freispricht, aufwühlend, weil man als Zuschauer mehr weiss als die Richter. (cj.)
«Detroit» läuft ab 23. 11. im Kino.
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